Wer Krieg führt, braucht die Unterstützung seiner Bevölkerung. Deshalb fällt der Kontrolle über die Medien hüben und drüben stets eine zentrale Rolle zu. In seiner reich illustrierten Studie analysiert Gerhard Paul, Flensburger Historiker und Sozialwissenschafter, Einsatz, Rolle und Einfluss der Bilder, von den ersten fotografierten Kriegen des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart der exakt zur „Primetime“ beginnenden amerikanischen Fernseh-Kriege. Seine These: Die immer stärkere Visualisierung des Krieges geht Hand in Hand mit dem Unsichtbarwerden seiner Wirklichkeit, ja entzieht sich letztlich der Darstellung in den Bildmedien.
Jeder Krieg produziert seine eigene, unverwechselbare visuelle Individualität, Bilder die unsere Sichtweise und Einstellung zum Krieg prägen: Die Bilder des Grabenkrieges im Ersten Weltkrieg, die Fotografien der toten vietnamesischen Zivilisten aus My Lai, die elektronischen grünlichen Nachtbilder aus dem Golf-Krieg von 1991, die Fernsehbilder vom Anflug der auf den Südturm des World Trade Center zurasenden Boeing.
Die Disziplinierung der Medien
Bis heute hält sich in den USA die „Dolchstoss“-Legende, die Amerikaner hätten den Vietnam-Krieg nicht in den Dschungeln Südostasiens verloren, sondern wie weiland die Deutschen den Ersten Weltkrieg an der „Heimatfront“. Für den „Dolchstoss“ verantwortlich: Neben den Universitäten vor allem die Medien und hier die Bildmedien, die ein verzerrtes Bild der Kämpfe präsentiert und dadurch die Bereitschaft der Amerikaner zuhause, ihre Truppen in Vietnam zu unterstützen, unterminiert hätten. Paul zitiert dazu Richard Nixon, der erklärte: „Mehr als je zuvor zeigte das Fernsehen die schrecklichen menschlichen Leiden und Opfer des Krieges. Das Resultat war eine ernsthafte Demoralisierung an der Heimfront.“
„Auch den nächsten Krieg wird man uns ohne jeden Zweifel als ‚Aggression’ des Gegners verkaufen, als Kampf zwischen Gut und Böse schmackhaft machen, den Führer des feindlichen Lagers als teuflische Fratze verunglimpfen. Die Tinte von Wissenschaftern wird dazu genutzt werden, das Blut der Märtyrer fliessen zu lassen.“
Anne Morelli
Die Ersten, die aus der amerikanischen Niederlage in Vietnam medienpolitische Konsequenzen zogen und neue Strukturen im Verhältnis von Militär und Medien im Kriegsfall installierten, waren die Briten im Falkland-Krieg (1982): Die Informationsflüsse vom Kriegsschauplatz gerieten unter die totale Kontrolle. Die Zahl der handverlesenen Medienvertreter, die das britische Militär begleiten durften, wurde eng begrenzt und deren Berichte konnten nur nach strengen Eingriffen des Zensors übermittelt werden. Folge: Obwohl der Falkland-Krieg auf argentinischer Seite 2000 und auf britischer 255 Opfer und 777 Verwundete kostete, waren diese in der britischen Presse inexistent.
Das amerikanische Pentagon hat, wie Paul feststellt, die zentralen Elemente dieses Systems der regulierten Kriegsberichterstattung seither nahtlos übernommen. Er verweist dabei auf den 1983 veröffentlichten Bericht des amerikanischen Marineoffiziers und PR-Fachmanns Arthur A. Humphries, gewissermassen einem Vorläufer von Nato-Sprecher Jamie Shea (Kosovo-Krieg). Der Falkland-Krieg zeige „wie sicherzustellen ist, dass die Regierungspolitik nicht durch die Art, wie berichtet wird, unterlaufen werden kann“. Eine “vorteilhafte Objektivität” (“favourable objectivity”) werde solcherart erreicht: Strenge Kontrolle des Zugangs zum Kriegsschauplatz, verbunden mit dem Ausschluss unsicherer Korrespondenten aus der Kampfzone, Verbot der Zurschaustellung von verwundeten, verstümmelten oder toten Angehörigen der eigenen Streitkräfte, darauf achten, dass keine Berichte und Bilder verbreitet werden, die die eigenen Soldaten als rücksichtslose Barbaren zeigen. Dafür sorgen, wie der zweite Irak-Krieg bestätigt, die Soldaten selber. Kein Einzelfall: Anton Holzer schreibt in seinem Band „Mit der Kamera bewaffnet – Krieg und Fotografie“ (Jonas Verlag, 2003): „Private Fotografien zeigen oft, der Zensur und Kontrolle zum Trotz, Szenen des Krieges, die nicht an die grosse Öffentlichkeit dringen sollten. Das gilt besonders für Hinrichtungen und Massenerschiessungen, die – sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg – weitaus öfter von privaten Fotografen oder inoffiziell von offiziellen Fotografen aufgenommen wurden.“
Keine Bilder, kein Krieg
Genau die von Humphries empfohlene Nachrichtenpolitik wurde von den USA 1983 bei der Invasion von Grenada praktiziert, nur leicht modifiziert 1989 beim Überfall auf Panama. Paul: „Obwohl die Invasion mehr Tote kostete als der zur selben Zeit stattfindende Umsturz in Rumänien, war er den amerikanischen und internationalen Medien kaum einer Erwähnung wert, da es keine Bilder von ihm gab.“ Kurz: Keine Bilder, kein Krieg. Zumindest bewegen solche Kriege die Weltöffentlichkeit nur punktuell, wie das Beispiel Afrikas zeigt.
„High-Tech-Kriege wie 1991 am Golf und 1999 über Serbien werden immer weniger von Militärs oder Politikern befehligt, sondern von Technikern, Informatikspezialisten und PR-Agenturen.“
Gerhard Paul
Inzwischen scheinen wir - wie Ignacio Ramonet in seinem Buch „Die Kommunikationsfalle“ feststellte - gänzlich an einem Wendepunkt der Geschichte der Information angelangt. Seit dem ersten Golfkrieg ist das Fernsehen das dominierende Medium. Es ist nicht mehr nur das wichtigste Freizeit- und Unterhaltungsmedium, sondern es ist nun, inzwischen assistiert durch das Internet, das wichtigste Informationsmedium. Damit hat gleichzeitig die Entertainisierung des Krieges begonnen: Der Krieg von der Einstimmung über das Ultimatum und die Action-Phase, zur TV-Primetime“ eingeleitet, bis hin zum Happy End wie ein Hollywood-Thriller inszeniert.
Und wie verhält es sich mit der Informationsqualität des neuen Leitmediums? Eine von der University of Massachusetts durchgeführte Befragung von 250 Personen im Raum Denver kam zu dem Ergebnis, dass die US-Networks (CNN etc.) die Zuschauer allenfalls oberflächlich über den Golf-Krieg informiert hatten. Schlimmer: Zuschauer, die allabendlich mehr als drei Stunden vor dem Bildschirm verbracht hatten, wussten weniger über die Hintergründe und die Geschichte des Konflikts zu berichten, als Zuschauer, die weniger als 90 Minuten ferngesehen hatten. Trotz monatelanger Berichterstattung verfügten die meisten Menschen mit einem umfassenden TV-Konsum nicht einmal über Basiswissen zum Mittleren Osten und zur US-Politik in dieser Region - auf die Kurzformel gebracht: „The more you watched, the stupider you got.“
Apropos TV-„Primetime“: In ihrem Buch „Frontberichte – Die Macht der Medien im Zeitalter des Krieges“ (Campus Verlag, 2004) beschreibt die Journalistin Bettina Gaus ihr „Primetime“-Schlüsselerlebnis: „Ihr bekommt eine wirklich gute Show“, erklärte US-Offizier Kirk Coker im Dezember 1992 den mehreren Hundert Reportern, die hinter dem Flughafen von Mogadischu (Somalia) die Ankunft der US-Truppen erwarteten. Sie warteten acht Stunden lang. Denn der Reporter-Tross hatte nicht ausreichend berücksichtigt, was heute zum kleinen Einmaleins der Kriegsberichterstattung gehört – „dass nämlich die Ankunft des optisch eindrucksvollstes Gerätes – in diesem Fall der Amphibienfahrzeuge – möglichst zeitnah zu den wichtigsten US-Fernsehnachrichten erfolgen würde“. Gaus: „Heute könnte es in einer vergleichbaren Situation wohl nicht mehr passieren, dass die Karawane acht Stunden zu früh am Ort des Geschehens einträfe.“
Slow news is no news
Erstmals kamen mit dem ersten Golf-Krieg Bilder vom Kriegsgeschehen live auf den Bildschirm bzw. suggerierten den TV-Konsumenten, live dabei zu sein. Die klassische journalistische Arbeit - Sammeln von Information, Analysieren, Gewichten - weicht seither dem Tempo-Diktat des Fernsehens nach dem Motto: „Slow news is no news.“ Ganz besonders wird damit die Arbeit der Print-Medien marginalisiert. Der Krieg als chirurgischer Eingriff, saubere High-Tech-Performance und Live-Inszenierung, gewürzt mit Gräuelstorys aus dem Lager des Feindes wie beispielsweise jene von der PR-Agentur Hill & Knowlton im Auftrag Kuweits präparierte Geschichte, die die angebliche Krankenschwester Najirah vor dem Menschenrechtsausschuss des US-Kongresses im Oktober 1990 unter Tränen bezeugte: Irakische Soldaten hätten in Kuweit Säuglinge aus dem Brutkasten gerissen und entführt. Mit dieser aufwühlenden Story wurde später, woran Paul erinnert, u.a. die alliierte Intervention legitimiert. Dass es sich bei der angeblichen Krankenschwester tatsächlich um die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington handelte und alles frei erfunden war, wurde später zwar bekannt, aber auch rasch wieder vergessen.
Und auf unsere Vergesslichkeit ist Verlass: Die Echtzeit-Nachrichtenübermittlung hat nicht nur die Bedeutung der elektronischen Medien beflügelt, sondern auch den Konkurrenzdruck massiv verschärft. Die Bedeutung einer Nachricht wird mithin weniger oder oft gar nicht mehr an ihrer langfristigen Wirkung als vielmehr an ihrem kurzfristigen Aufmerksamkeitswert gemessen. Die auch von Medienschaffenden der jüngeren Generation gern ins Feld geführte Meinung, die immer schnellere Berichterstattung sei gleichbedeutend mit einer immer umfassenderen und besseren Information der Öffentlichkeit, erweist sich nicht nur in der Praxis der Kriegsberichterstattung, sondern in der Medienberichterstattung generell als kollektive Selbsttäuschung - Tempo und Konkurrenzdruck erhöhen die Informationsqualität keineswegs, sondern die Nachrichtenübermittlung passt sich den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie an. Im Journalistenjargon: Ein Toter ist eine Serie wert, 1000 Tote eine Kurzmeldung (Grund: siehe Personifizierung/Diabolisierung des Feindes weiter unten).
„In den postmodernen Kriegen der Gegenwart haben vermeintlich sensationelle Echtzeit-Videos und Inszenierungen der Militärs die spektakulären Kriegsbilder der Vergangenheit verdrängt. Nicht mehr so sehr der Gegenstand der Bilder gilt als spektakulär, sondern die vermeintlichte Gleichzeitigkeit des Geschehens und die Perspektivität der Waffe selbst.“
Gerhard Paul
Militärisch und medial knüpfte der Kosovo-Krieg der Nato (1999) praktisch nahtlos an die Entwicklung im Golf-Krieg an - etwas überspitzt formuliert diesmal statt mit Peter Arnett (CNN) mit Jamie Shea (Nato-Kommunikator) in der medialen Hauptrolle. Erstmals nutzen die Konfliktparteien dabei das Internet als Medium der Selbstdarstellung und gezielt als Waffe im Bilderkampf, besonders erfolgreich das kosovo-albanische Lager: Die Nato begründete ihre Intervention auf den so genannten „Hufeisenplan“ der Serben (systematische Vertreibung der Kosovo-Albaner) u.a. mit den schrecklichen Bildern eines Massakers an Zivilisten, das nach Angaben der Kosovo-Albaner am 29. Januar 1999 in Rugova stattgefunden haben soll. Später stellte sich heraus, dass die Fotografien nicht in Rugova aufgenommen worden waren, und es sich bei den Getöteten nicht um Zivilisten, sondern um Militärangehörige handelte. Aber auch dies ist längst vergessen. Wie die USA den Afghanistan-Krieg (2001) und danach den zweiten Irak-Krieg (2003) begründeten, muss hier nicht wiederholt werden - so weit zurück scheint unser Kurzzeitgedächtnis zu reichen (als kleine Hilfe trotzdem zwei Stichworte: Osama bin Laden, Massenvernichtsungswaffen).
Wohin führt eine Entwicklung, die den Krieg als planbaren, weil geordneten, nach kalkulierbaren Regeln ablaufenden sauberen, ja heilsamen Prozess darstellt? Gerhard Paul: „Als sicher (…) kann gelten, dass die über Jahrzehnte medial erzeugte Illusion des sauberen und geordneten Krieges vor allem in seiner elektronischen Variante als High-Tech-Performance in höchstem Masse destabilisierend wirken dürfte, da sie die Bereitschaft von Gesellschaften zur Führung von Kriegen erhöht.“
Aber aufgepasst, neben der neuen Medienpolitik der Kriegsherren haben die alten Propagandatricks nach wie vor ihre Gültigkeit behalten. Dies zu belegen, schickt sich Anne Morelli, Professorin für Geschichte an der Freien Universität Brüssel mit dem Lehrgebiet „Historische Quellenkritik“, in ihrem schmalen Band „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ an.
1928 erschien in London das Buch „Falsehood in Wartime“ von Lord Arthur Ponsonby (1871-1946). Darin analysiert er am Beispiel des Ersten Weltkriegs die Mechanismen der Kriegspropaganda und fasste sie in zehn „Geboten“ zusammen. Ponsonby ging es darum, die Lügen zu benennen, die erfunden und propagiert wurden, um in der Bevölkerung der kriegführenden Länder Wut, Angst und Hass zu entfachen, mithin ihre Kriegsbereitschaft zu animieren. Anne Morelli kommt in ihrer Untersuchung zum Schluss, dass fast alle von Ponsonbys „Gebote“ auch vor und im Zeitalter der Informationsgesellschaft unter gütiger Mithilfe der überforderten Medien aktuell geblieben sind.
Die Prinzipien der Kriegspropaganda
Hier, kurz resümiert, das propagandistische Instrumentarium, mit dem wir, ebenso wie unsere Vorfahren im Ersten Weltkrieg, offenbar erfolgreich auf Krieg eingestimmt werden können, wobei geneigten Lesern auffallen dürfte, dass diverse Instrumente auch in der politische Propaganda gelegentlich erfolgreich angewandt werden:
„Ohne (…) mediale Aufladung des Ereignisses wäre der Anschlag des 11. September ein Attentat oder ein Luftschlag unter vielen geblieben und - gemessen an anderen kriegerischen Akten in der Geschichte - nicht einmal ein besonders schwerwiegender.“
Gerhard Paul
Allen offiziellen Verlautbarungen, so das Fazit der Autorin, muss im Konfliktfall mit systematischem Zweifel begegnet werden. Denn ihr Wahrheitsgehalt kann erst geprüft werden, wenn es zu spät ist - nach dem Krieg. Die Frage, ob die Ponsonby-Gebote jeweils bewusst angewandt werden oder ob sie sich eher zufällig einschleichen, vermag Anne Morelli nach eigenem Bekunden nicht in eindeutiger Weise zu beantworten. Ihre Aufforderung: „Es ist an uns zu zweifeln. Ganz gleich, ob wir uns in einem heissen, kalten oder lauwarmen Krieg befinden.“
Christian Fehr
Gerhard Paul
Bilder des Krieges – Krieg der Bilder
Die Visualisierung des modernen Krieges
Verlag Ferdinand Schöningh, 2004, 527 Seiten
ISBN 3-506-71739-1
Anne Morelli
Die Prinzipien der Kriegspropaganda
zu Klampen Verlag, 2004, 156 Seiten
ISBN 3-934920-43-8