Die 48 Gesetze der Macht

Der Autor, Literaturwissenschafter und Dramatiker Robert Greene, geb.1959, verdankt die Idee zu seinem Buch gemäss eigener Aussage all den Menschen, die ihn unter kundiger Anwendung der Spielregeln der Macht manipuliert und gequält haben. Er sieht die Welt als riesigen, ränkeschmiedenden Hof, in dem es sich empfiehlt, das Spiel der Macht zu beherrschen, statt zu versuchen, dagegen anzukämpfen und zu quengeln. Sein 2001 zunächst als Taschenbuch in deutscher Uebersetzung erschienenes Werk ist seit 15 Jahren aktuell wie eh und je – seit Januar 2013 liegt es als gebundene Ausgabe (Kompaktausgabe) vor.

 

Von Elisabeth Weyermann

 

Die «48 Gesetze der Macht» sind ein Destillat aus Gedanken zum Spiel mit der Macht, die uns von Strategen, Staatsmännern, Verführern und Betrügern der letzten 3000 Jahre überliefert sind. Robert Greene will sein Produkt als «eine Art Handbuch für die Kunst des indirekten Vorgehens» verstanden wissen. Um Novizen im Spiel um die Macht vor Fallstricken zu bewahren, zeigt er für jedes seiner 48 Gesetze zunächst historische Beispiele von Menschen auf, die sich durch einen Verstoss gegen das jeweilige Gesetz ruiniert haben. Dem gegenübergestellt werden ebenso authentische historische Beispiele, die zeigen, wie die Einhaltung dieser Gesetze die Macht des Menschen so gut wie immer mehrt.

 

Beginnen wir mit einem Zitat von Niccolò Macchiavelli, dem florentinischen Staatsdiener und Schriftsteller der Renaissance, den Greene nebst vielen andern Grössen der Geschichte besonders gerne beizieht, um seine Gesetze zu untermauern: «Ein Mensch, der immer nur das Gute möchte, wird zwangsläufig zugrunde gehen inmitten so vieler Menschen, die nicht gut sind.» Damit sind wir bereits beim Paradoxon, von dem der Autor in seiner «Gebrauchsanweisung» ausgeht: Wir sind zwar zivilisiert, anständig, demokratisch und fair; aber wer die damit verbundenen Regeln konsequent befolgt, geht im Spiel um die Macht unter.

 

Gesetze der Macht im Umgang mit dem Chef

 

Was am mittelalterlichen Hofe die Regel war, bleibt im Umgang mit den kleinen und grossen Chefs auch heute gültig: Ohne List keinen Platz an der Sonne. Nur wenn der Chef die Mittel des Untergebenen für begrenzter hält als die seinen, wird er ihn befördern und weitere Sprossen der Karriereleiter nehmen lassen. Darum, oberstes Gebot für Aufsteiger: Den Meister nie in den Schatten stellen. Die eigenen Talente und Stärken bemänteln und sie gar dem Chef zuschreiben, um seine Sympathie zu gewinnen.

 

 

«Als Entdecker war Kolumbus bestenfalls Mittelmass. (...) Doch auf einem Gebiet war er ein Genie: Er wusste sich zu verkaufen. (...) Er vermittelte ein Selbstvertrauen, das seine Fähigkeiten bei weitem überstieg. (...) Zwischen den Notablen und Kolumbus bestand sofort eine Affinität, denn er gab sich wie sie – über der Masse stehend, zu Höherem bestimmt.»

 

 

Einen beispielhaften Verstoss gegen dieses Gesetz beging Nicolas Fouquet, der Finanzminister Ludwigs XIV. Um seinem König zu gefallen und damit  Unentbehrlichkeit zu festigen, organisierte er ein spektakuläres Fest. Er lud die Spitzen des europäischen Adels und prominente Geistesgrössen ein, liess von Molière ein eigens für diesen Anlass geschriebenes Stück aufführen, Speisen aus dem Orient auftragen und das Ganze mit Musik und Feuerwerk umrahmen. Fouquets Gäste waren begeistert. Wahnsinn! Die glanzvollste Fête, die sie je besucht hatten! Die Konsequenz für Fouquet: Er wurde am nächsten Tag festgenommen und verbrachte den Rest seines Lebens in Einzelhaft. Greenes Deutung des Vorgangs: Ludwig XlV., der Sonnenkönig, war ein stolzer und eitler Mann, der stets im Mittelpunkt stehen wollte. Der Erfolg von Fouquets überschwänglich gelobter Veranstaltung kränkte ihn zu tiefst.

 

Die korrekte Einhaltung des Gesetzes hingegen demonstrierte der italienische Astronom und Mathematiker Galileo. Um seine Forschungen betreiben zu können, war er auf die Grosszügigkeit der Herrscher angewiesen, die ihn für seine Erfindungen allerdings mit Geschenken statt mit dringend benötigter barer Münze belohnten. Mit einer neuen Strategie landete Galileo 1610 den Coup seines Lebens: Er widmete die Entdeckung der Jupitermonde der Polit- und Banker-Familie Medici, die 1540 Jupiter, den mächtigsten aller Götter, zum Familiensymbol erkoren hatte. Die Monde umkreisten Jupiter wie die vier Söhne den Gründer der Medici–Dynastie, was zeige, dass die Himmel selbst den Aufstieg der Medici reflektierten, fabulierte Galileo und sicherte sich damit auf Lebenszeit die Position des offiziellen und hoch dotierten Hofmathematikers bei den Medici.

 

 

«Wenn der Grossgrundbesitzer vorbeigeht, verbeugt sich der weise Bauer tief und furzt heimlich.»

Äthiopisches Sprichwort

 

 

In seinen «Gesetzen der höfischen Kultur» listet Greene eine Reihe von Verhaltenstipps auf, die scheinbar immerwährende Gültigkeit haben, zum Beispiel:

 

-          «Sorge dafür, dass man dich bemerkt»: Das ist schwierig zu bewerkstelligen, weil die Strebsamen – wie wir bereits gelernt haben - nicht zu ostentativ auftreten dürfen, aber dennoch dafür sorgen müssen, dass sie bemerkt werden. Greene rät, auf die äussere Erscheinung zu achten und dafür zu sorgen, dass der persönliche Stil und damit auch das Image unverwechselbar – subtil unverwechselbar – werden.

-          «Überbringe nie eine schlechte Nachricht»: Der Anblick Untergebener soll den Chef erfreuen. Das Überbringen schlechter Nachrichten ist deshalb zwingend andern Mitarbeitenden zu überlassen.

-          «Pass dich dem Zeitgeist an»: Der Mitarbeitende darf weder zurückdenken («Wir haben das immer so gemacht...») noch voraus («Wir müssen ganz neue Wege...»). Nur wenn er sich auf der Höhe der Zeit bewegt, geht es ihm gut, ja sogar bestens.

-          «Sei ein Quell der Freude»: Nur eine Lichtgestalt schafft es bis an die Spitze. Denn wer es versteht, negative Eigenschaften und Stimmungen zu verbergen, wird dem Chef mit seiner positiven und unterstützenden Dauerhaltung unverzichtbar.

 

Gesetze im Umgang mit den Untergebenen

 

Einmal Chef, immer Chef – was ist hierzu vorzukehren? Ein Chef muss sich immer vor Augen halten, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Seinen Mitarbeitenden gegenüber soll er deshalb viel Getue darum machen, dass er die bewährten Mittel und die eingefahrenen Wege respektiert. Ein Blender soll er sein, damit – geblendet vom schönen Schein – niemand merkt, was er in Wirklichkeit vornimmt, nämlich eine unbarmherzige Änderung dessen, was ihm nicht gefällt.

 

Als Garanten für die Wirksamkeit dieses Gesetzes ruft Greene erneut Machiavelli auf den Plan, der sagte, wer einem Staat eine neue Verfassung geben wolle ohne Unzufriedenheit hervorzurufen, der müsse wenigstens den Schein der alten Form beibehalten. Denn mit dem Schein lasse sich die Masse der Menschen ebenso abspeisen wie mit der Wirklichkeit.

 

«Erschlage den Hirten und die Schafe zerstreuen sich» ist ein weiteres Gesetz, das der Chef anzuwenden hat, um einen unbotmässigen Untergebenen loszuwerden. Greene zitiert den Familientherapeuten Milton E. Erickson, der erkannte, dass zumeist nur eine Person die Familiendynamik stört. Er pflegte diesen «faulen Apfel» physisch von der Gruppe zu isolieren, bis er von allen als Unruhestifter erkannt wurde. Genau so, sagt uns Greene, verhält es sich im Berufsleben innerhalb des Teams: Der Störenfried gedeiht, weil er sich in der Gruppe verstecken und seine Aktivitäten hinter deren Reaktionen verbergen kann. Der Chef muss die Aktivitäten dieses Mitarbeiters sichtbar machen, damit dieser die Macht verliert, die andern aufzuwiegeln.

 

Gesetze im Umgang mit Konkurrenten am Arbeitsplatz

 

Ein guter Ruf sichert Macht und schüchtert ein. Wer nach oben will, muss jede Attacke auf seinen Ruf vereiteln und – falls notwendig – Konkurrenten ausschalten, indem er deren Ansehen untergräbt. Unangenehme Aufgaben sind zu delegieren, und es ist eine «Aura der Effizienz und des Tempos» zu verbreiten. Merke: Den Helfer vergisst man - deshalb nie selbst an die Hand nehmen, was andere erledigen können, rät Greene.

 

 

«Das Leben am Hof ist ein nie enden wollender Kampf, der ständige Wachsamkeit und taktisches Denken erfordert. Es ist ein zivilisierter Krieg.»

 

 

Und noch ein Tipp: Nehmen Sie sich die Zeit, um jeden einzelnen Typus in Ihrem Arbeitsumfeld kennen zu lernen. Nur so können Sie vermeiden, die falsche Person zu kränken und damit Ihre Position zu gefährden. Greene hat die historischen Meister der Macht in ihrem Umgang mit «gefährlichen» Zeitgenossen studiert und liefert hierzu eine Typologie:

 

-          Der Arrogante und Stolze. Empfehlung: Meiden. Grund: Diese Person ist leicht gekränkt und bringt einem gar nichts ein.

-          Der hoffnungslos Unsichere. Empfehlung: Meiden. Grund: Dieser Typus hat ein fragiles Ego und wird seine Kollegen aufgrund seiner Verletztheit subtil attackieren, resp. – wie Greene es plastisch ausdrückt – «an ihnen knabbern, bis sie tot sind».

-          Der Misstrauische. Empfehlung: Vorsicht! Grund: Er hat das Gefühl, dass alle – also auch Sie! - hinter ihm her sind.

-          Die Schlange mit dem langen Gedächtnis. Empfehlung: Vernichten oder – etwas weniger radikal – sich ausser Reichweite bringen. Grund:  Diese Person wirkt leidenschaftslos. Sie kann sehr, sehr lange warten, um dann umso kaltblütiger für eine Verletzung Rache zu üben.

 

In einem weiteren Gesetz «Ansteckungsgefahr: Meide Unglückliche und Glücklose» legt Greene in Anlehnung an das Gebaren am mittelalterlichen Hofe dar, dass es sich auch der moderne «Staatsdiener» nicht leisten kann, über den Horizont seiner eigenen Ambitionen hinaus nette, aber hilflose Kollegen wahrzunehmen und sie zu unterstützen. Der Autor liefert eine psychologische Parallele zum Entwicklungsforscher Darwin, der nur die Starken der Spezies für überlebensfähig hält: «Die Glücklosen ziehen das Unglück an, und sie werden es auch über Sie bringen. Suchen Sie stattdessen die Gesellschaft der Glücklichen.»

 

Gesetze der Macht im Umgang mit Gegnern

 

Wem das aktive Anwenden der Power-Gesetze und Greens Empfehlung für den Umgang mit Konkurrenten, die partout nicht klein beigeben wollen («Vernichte deine Feinde vollständig») mit zuviel Aufwand verbunden scheint, um den Weg nach oben frei zu schaufeln, dem bietet der Autor ein vergleichsweise humanes Erfolgsrezept an, das keine Anstrengung, nur etwas Nerven erfordert: Strafen Sie einen Gegner, der Ihnen den nächsten Schritt auf der Karriereleiter strittig machen will, mit nobler Verachtung. Wer es fertig bringt, die missgünstige, intrigierende Konkurrenz zu ignorieren, mutiert zum König. Denn der Gegner  gerät ob der fehlenden Aufmerksamkeit in Rage, verliert die Orientierung und wird bald alles daran setzen, wieder mit Ihnen, dem er eigentlich schaden wollte, in Wechselwirkung zu treten. Ganz gebeutelt wird er Ihnen kampflos überlassen, was er beansprucht hatte – wenn Sie nur wieder mit ihm sprechen.

 

Bevor Sie sich jetzt beherzt anschicken, Greenes «Schlüssel zur Macht» in Rambo-Manier anzuwenden, noch ein Hinweis: Es schickt sich heute nicht, seinen Machthunger offen zur Schau zu stellen. Greene rät deshalb zu subtilem Vorgehen – demokratisch und diabolisch zugleich.

 

Wie Leser-Rezensionen bei Amazon.de auf Internet zeigen, ist Greenes Leserschaft gleichermassen fasziniert wie angewidert von seiner moralfreien Aufforderung zum Spiel um die Macht. Die Enzyklopädie wird nahezu als Geheimtipp gehandelt, weil sie «anständige» Leser vor Machtmissbrauch schützen, andere aber auch dazu verleiten kann. Ein Rezensent aus Singapur berichtet, dass nach Erscheinen der englischen Erstausgabe von «Power» im Politmagazin «Asiaweek» der Premierminister von Malaysia, Dr. Mahathir, beim Händedruck mit seinem neuen Vize abgebildet war, dessen charismatischeren Vorgänger er kurzerhand an die Luft gesetzt hatte. Im Vordergrund des Fotos, auf Mahathirs Pult, konnte der Leser deutlich eine Kopie von «The 48 Laws of Power» ausmachen.

 

Robert Greene

Power – Die 48 Gesetze der Macht

dtv, München

ISBN 3-423-36248-0